04.06.2025

Eine Buchbesprechung aus systemsicher Perspektive: „Trigger, Trauma, Toxisch“ von Lukas Maher

Text: Dr. Maria Blöchl (Referentin Systemische Therapie und Gesundheit)

Ein Systemischer Psychotherapeuten schreibt in seinem neuen Buch über „die größten 45 Mental Health Irrtümer“

Psychologie und Psychotherapie werden immer stärker in unserem Alltag präsent – das zeigt sich auch in unserer Sprache: Menschen sprechen von „Love Bombing“, bezeichnen sich selbst als „People Pleaser“ oder erzählen von ihrer Chefin, die als „Narzisstin“ eine „toxische“ Arbeitsatmosphäre schafft. Gleichzeitig ist das Wissen über psychologische Konzepte oft gar nicht so ausgeprägt, wie Lukas Maher feststellt. In seinem Buch setzt er sich das Ziel, Leser*innen aus wissenschaftlicher und psychotherapeutischer Perspektive mit psychologischem Halbwissen aufzuräumen und 45 populäre Mental-Health-Irrtümer zu „entlarven“.

Lukas Maher ist derzeit einer der bekanntesten Systemischen Psychotherapeuten in Deutschland – vor allem für eine jüngere Generation, die auf Social Media unterwegs ist. Auf seinem Instagram-Kanal @systemischegesundheit folgen ihm über 55.000 Menschen. Seit 2020 spricht Maher dort regelmäßig über Themen der psychischen Gesundheit, insbesondere über ADHS und Psychotherapie – und manchmal auch über Systemische Therapie. Ich folge ihm seit einiger Zeit und mich beschäftigt das Thema sehr. Daher war ich sehr gespannt auf das Buch. Ganz besonders interessiert hat mich natürlich: Wie systemisch ist sein Blick, den er auf Mental Health, Alltagspsychologie und Therapiesprache hat?

Eine gelungene Übersicht der „Psycho-Welt“ aus psychotherapeutischer Sicht

Zu Beginn seines Buches gibt Maher eine Orientierung in der „Psycho-Welt“. In einer kompakten Einführung stellt er seinen Leser*innen in verschiedene Berufsgruppen vor, die Leistungen im Bereich der psychischen Gesundheit anbieten. Er erklärt Unterschiede zwischen Psycholog*innen, Psychotherapeut*innen, Psychiater*innen, beschreibt, was eine Psychotherapie ausmacht und ordnet Heilpraktiker*innen für Psychotherapie und Coaches in dieses Feld ein. Maher positioniert sich dabei klar in seinem Verfahren, der Systemischen Therapie, und in seiner Profession als Psychotherapeut.

Zwar lässt Maher in den ersten Kapiteln die Chance ungenutzt, auf die Bedeutung des systemisch-therapeutischen Ansatzes in der breiten psychosozialen Versorgung, wie der Beratung, der Kinder- und Jugendhilfe oder der Aufsuchenden Familientherapie hinzuweisen. Dennoch bietet er seiner Zielgruppe – vor allem jüngeren Menschen, die Orientierung auf dem freien Markt suchen – eine kompakte und hilfreiche Übersicht über verschiedene Angebote. Dabei zeichnet Maher ein differenziertes Bild, wenn es um Heilpraktiker*innen und Coaches geht. Maher macht deutlich, dass diese Angebote eine sinnvolle Unterstützung sein können, weist aber auch auf Grenzen hin und gibt Hinweise, woran man seriöse und qualitativ hochwertige Angebote erkennen kann. Diese Darstellung dürfe auch manche Systemiker*innen anregen.

Von Persönlichkeit über Körper zu Beziehungen und „Mindset“: Was verstehen wir darunter?

In den nächsten Teilen des Buches wagt Maher einen umfangreichen Ritt durch eine Vielzahl von Begriffen, die sich in der Alltagssprache und Pop-Psychologie wiederfinden – und die unsere Persönlichkeit, unsere Beziehungen, unseren Körper oder unser „Mindset“ beschreiben. Dabei schreibt Maher stets mit einer Prise Humor und Leichtigkeit, in der sein persönlicher Stil klar erkennbar wird. Immer wieder lässt er sein Faible für psychologische Forschung einfließen, manchmal ist er dabei ganz systemisch-provokant.

In diesen Kapiteln wird sowohl Mahers klinische Erfahrung als auch seine Erfahrung als Influencer sichtbar: Ihm gelingt es, anschaulich und fundiert sowie mit klinischem Fingerspitzengefühl eine ganze Reihe an Konzepten einzuordnen. Häufig stellt er dabei fest: Viele Begriffe, wie zum Beispiel „gaslighting“, „People Pleaser“, oder „Narzissmus“, sind entweder noch gar nicht gut erforscht oder werden in der Fachwelt anders verstanden als sie im Alltag benutzt werden. Diese Diskrepanzen aufzuzeigen und gleichzeitig das Alltagswissen und die Erfahrungen von Menschen zu validieren, ist dabei erfrischend und eine besondere Leistung des Buches. So gelingt es Maher – ganz im systemischen Sinne – Konzepte wie Narzissmus oder Selbstwert einzuordnen und sie gleichzeitig wieder ein Stück weit zu hinterfragen, aufzuweichen und kritisch zu reflektieren.

Zudem wird Maher nie müde, die Relevanz von Systemen und Kontexten für psychische Gesundheit hervorzugeben. Gesellschaftliche Machtstrukturen und Gewalt werden an vielen Stellen des Buches als Punkte ausgemacht, die nicht „wegpsychologisiert“ werden sollten. So betont Maher explizit, dass der Begriff „toxisch“ seine Grenzen hat, wo in Beziehungen körperliche Gewalt oder psychischer Missbrauch stattfindet und diese als solche benannt werden müssen.

Auch im Kapitel zum „inneren Kind“ zeigt sich Mahers systemischer Blick, hier von einer etwas anderen Seite. Er hebt ressourcen- und lösungsorientierte Ansätze hervor und betont, dass „wir sind nämlich nicht (nur) die Opfer unserer Vergangenheit, sondern aktive Mitgestalter unserer Zukunft“ (S. 81). In diesen Lesemomenten zeigt sich, wie systemische Perspektiven den Diskurs um psychische Gesundheit bereichern können.

Systemisches Herzstück (?): Diagnosen, Selbstdiagnosen und ob alle Therapie brauchen

Die Auseinandersetzung mit diagnostischen Kategorien und Begriffen ist seit ihren Ursprüngen ein Herzstück der Systemik und auch Mahers Buch gipfelt in einem Abschnitt, in dem sich alles um Störungen und diagnostische Kategorien dreht. Denn wie Maher schreibt: „Zwischen der Dämonisierung als chronische Krankheit, der Verharmlosung zum Lifestyle-Phänomen oder Erlösung als Identität – der Umgang mit psychischen Störungen ist extrem“ (S. 211).

In mehreren kurzen Kapiteln beschreibt er, was Zwangsstörungen, Schizophrenie oder Posttraumatische Belastungsstörungen ausmacht und welche Missverständnisse über bestimmte psychische Störungen existieren. An dieser Stelle ist das Buch zumeist erklärend – und man merkt: sobald es um Störungen geht, wird es schnell ziemlich komplex. Maher schafft es dennoch, die Vielschichtigkeit dieser scheinbar „einfachen“ Kategorien dazulegen. Dabei nimmt er die Perspektiven von Betroffenen immer ernst und zeigt auf, wie wandelbar diagnostische Kategorien sein können. Zum Beispiel beschreibt Maher wie diagnostische Kriterien, Biases und gesellschaftliche Rollenbilder dazu beigetragen haben, dass Essstörungen lange Zeit als „Frauenproblem“ galten und gibt spannende Einblicke, wie sich dieses Verständnis aktuell in der Fachwelt wandelt.

Und auch wenn Maher in diesem Abschnitt auf Diagnosen zurückreift und damit aus systemsicher Sicht vielleicht auf die grundlegende Ablehnung dieser Konzepte verzichtet – sehr wohl webt er seinen systemischen Blick ein. In den Kapiteln zu (Selbst)Diagnosen und Neurodiversität stärkt er die Rolle von Betroffenen als Erfahrungsexpert*innen für ihre Themen und zeigt auf, wie Konzepte wie „Neurodiversität“ empowern und entpathologisieren können. Somit steht er für eine systemische Haltung, in der Autonomie als Grundprinzip verstanden wird – Menschen sind die Expert*innen für ihre Lösungen und bei Diagnosen geht es auch darum, für ihre Autonomie möglichst nützlich zu sein.

Und zum Abschluss geht Maher noch die Frage an: Brauchen wir nun alle (Psycho)Therapie? Seine Antwort auf darauf ist lesenswert und regt zum Nachdenken an: Was verstehen wir unter Therapie? Wann ist eine Psychotherapie nützlich? Und wie können wir außerhalb des Gesundheitssystems unsere Ressourcen und Gesundheit stärken?

Zusammenfassung

Insgesamt ist das Buch von Maher ein informatives und unterhaltsames Buch für alle, die sich für psychologische Konzepte interessieren, insbesondere auch Systemiker*innen, die eine systemisch-psychotherapeutische Perspektive schätzen. Psychische Gesundheit rückt immer mehr in den Mittelpunkt des öffentlichen Diskurses. Die Systemik hat in der Auseinandersetzung einiges beizutragen – mit Lukas Mahers Buch ist sie in der Social Media Bubble und darüber hinaus angekommen.

Das Buch „Trigger, Trauma, Toxisch. Die 45 größten Mental Health Irrtümer.“ von Lukas Maher ist im Beltz Verlag erschienen (2025) und hat ca. 272 Seiten (ISBN: 978-3-407-86885-5).