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- Approbationsausbildung im IFW
„Es ist nicht möglich, allen Ansprüchen gerecht zu werden“
Interview mit Forschungspreisträgerin Marieke Born
Sie spüren die Verantwortung gegenüber den Patienten und sorgen zugleich dafür, dass ihre Pflegekräfte nicht aufgeben: Mitarbeitende im mittleren Management von Krankenhäusern befinden sich in beruflichen Zwickmühlen – während der Pandemie vielleicht stärker als je zuvor. Marieke Born, Trägerin des Forschungspreises von SG und DGSF 2021, hat über die Dilemma-Situationen dieser Berufsgruppe geforscht und zeigt mögliche Auswege auf.
Liebe Frau Born, Sie haben die Dilemma-Situationen von Mitarbeitenden im mittleren Management von Krankenhäusern untersucht. Gab es da auch ein ganz persönliches Interesse, sich diesem Thema zu widmen?
Ich habe neben Psychologie auch Politikwissenschaft und Soziologie studiert und bin auch gesellschaftspolitisch engagiert. Und wenn man von einer etwas höheren Warte auf die Arbeitswelt schaut, dann sieht man ja bereits ein Grunddilemma: Wie balancieren wir einen ständigen Kostendruck auf Grund begrenzter Ressourcen mit einem sehr hohen Qualitätsanspruch? Das ist ja bereits allgemein in Unternehmen ein sehr präsentes Gegensatzpaar, das ständig austariert werden muss. Das fand ich von Anfang an spannend. Das ist eine Fragestellung, die auch allgemein gesellschaftlich ständig präsent und hoch relevant sein kann.
Marieke Born ist beruflich in unterschiedlichen Bereichen unterwegs. Sie ist Psychologin, systemische Therapeutin und Beraterin. In selbstständiger Praxis arbeitet sie mit Paaren und Einzelklienten – u. a. auch mit Führungskräften. Ein großer Teil ihrer beruflichen Tätigkeit umfasst Team- und Organisationsberatung. Im Herbst 2021 wurde ihr für ihre Dissertation der gemeinsame Forschungspreis von DGSF und SG verliehen. Der Titel: „Zur Bewältigung von Dilemmasituationen im Krankenhaus. Wie gehen mittlere Führungskräfte mit Ambiguitäten um und lässt sich der Umgang trainieren?“ |
Welches Beispiel kommt Ihnen da zuerst in den Sinn?
Der vergangene Bundestagswahlkampf ist ja gerade erst vorbei, und da fiel vor allem in der Kommunikation der Grünen auf, dass sie in hohem Maß Ambiguitätstoleranz zeigten und Widersprüche benannten: zum Beispiel einerseits den Umstand, dass die Klimakrise nur mit massiven Bemühungen bewältigt werden kann, und gleichzeitig die Tatsache, dass die Umsetzung des Notwendigen zu scheitern droht, wenn gesellschaftliche Bedenken und Gegenkräfte nicht bedacht und honoriert werden. Das sind Dinge, die mich als politisch denkenden Menschen auch schon früher beschäftigt haben, bevor ich auf das Dilemma-Projekt in der Arbeitsgruppe in der Sektion Medizinische Organisationpsychologie von Jochen Schweitzer, meinem Doktorvater, stieß.
Was war das genau für ein Projekt?
Grundidee ist es, zu untersuchen, wie Führungskräfte in Dilemmasituationen handeln können – also in schwierigen Situationen, in denen sie sich zwischen mindestens zwei Zielen entscheiden müssen, die sich gleichzeitig widersprechen. Wie können sie sich hier bewusst positionieren? Wie können sie sowohl für sich als Person als auch für die Organisation im Ganzen resilient handeln? Zunächst entwickelten Ulrike Bossmann und Julika Zwack dafür im Kontext von Industriebetrieben ein Training für Führungskräfte. In diesem Projekt war ich schon während meines Studiums als HiWi dabei. Anschließend gründete Jochen Schweitzer gemeinsam mit Arbeitsgruppen anderer Universitätskliniken den vom Bundesforschungsministerium geförderten Forschungsverbund SEEGEN – „Seelische Gesundheit am Arbeitsplatz Krankenhaus“. In diesem Zusammenhang wurde das Dilemma-Kompetenz-Training von den beiden Autorinnen auf den Bereich Krankenhaus übertragen. Gemeinsam mit Antonia Drews führte ich das Forschungsprojekt durch. Wir erhoben Daten, führten mit den Kolleg_innen der Arbeitsgruppe intensive Trainings mit mittleren Führungskräften in Krankenhäusern durch, werteten die Daten anschließend aus und entwickelten das Training noch einmal weiter.
Welche Stressoren, die belasten, konnten Sie im System Krankenhaus denn beobachten?
Ein typischer Stressor besteht darin, dass eine Person mit Ansprüchen konfrontiert ist, die sich teilweise widersprechen – und die wiederkehrend nicht zufriedengestellt werden können. Da ist zunächst die Herausforderung für die Betroffenen, Bedürfnisse ihrer Mitarbeitenden zu wahren – vor allem das Bedürfnis nach Erholung. Dann ist da der Anspruch, welchen die Menschen an die eigene Arbeit haben. Den meisten Befragten ist es wichtig, eine hohe Arbeitsqualität zu liefern. Dann haben sie noch einen anderen Anspruch: Sie wollen ein Führungsverhalten an den Tag legen, das an den Mitarbeitenden orientiert ist. Das ist Vielen sehr wichtig. Eine weitere Gruppe von Ansprüchen besteht in der Verfolgung von Interessen der Kliniken und ihrer Abteilungen – da geht es oft um Effizienzsteigerung, Einsparungen, Umsatzsteigerungen. Und gleichzeitig gilt es, das Interesse der Patienten zu wahren: eine hochwertige Versorgung. All die Ansprüche können nicht gleichzeitig von einer Person bedient werden. Das alles kommt in den unterschiedlichsten Varianten in Widerspruch zueinander. Eines der Haupt-Gegensatzpaare, die immer wieder auftauchen, ist Versorgungsqualität versus -quantität.
Können Sie ein Beispiel für eine Dilemma-Situation nennen?
Klassisches Beispiel ist eine Pflegedienst- oder Stationsleitung, die entscheiden muss: Sollen wir heute die Patientin X einmal nicht waschen oder anderweitig schneller versorgen? Sollen wir bestimmte Dinge weglassen, weil wir unterbesetzt sind – und welche? Oder sollen diejenigen, die im Dienst sind, länger arbeiten müssen, damit alle Aufgaben sorgfältig durchgeführt werden?
Weshalb sind eigentlich Dilemma-Situationen so belastend?
Es ist nicht möglich, alle Ansprüche zu bedienen. Daraus folgt häufig das Gefühl, dass man selbst unzulänglich ist. Das frustriert, ärgert und kann auch schambehaftet sein. Das konnten wir häufig beobachten. Außerdem besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Person ihr Umfeld enttäuscht oder sich vom Umfeld oder sich selbst abgewertet fühlt – was ihren sozialen Puffer zusätzlich angreift und Energie zieht. Solche Situationen haben also ein großes Potenzial, zu belasten und die allgemeine Resilienz der Betroffenen einzuschränken.
Das heißt, es gibt auch Auswirkungen auf das berufliche und private Umfeld der Person?
Ja, sehr häufig. Auch wenn man zum Beispiel im Alltag mit einer anderen Abteilung oder mit dem eigenen Team aneinandergerät – weil man selbst oder das Team überfordert ist. Da entstehen Konflikte, die ebenfalls belastend sind. Wir konnten zeigen, dass ein Dilemma-kompetentes Verhalten sich auch positiv auf das Umfeld der Führungskräfte auswirkte.
Sie haben in den letzten Jahren Erfahrung darin sammeln können, Organisationen zu beraten. In Krankenhäusern gibt es offenbar bereits Eigenschaften in der Struktur, die zwangsläufig zu Dilemmata von Mitarbeitenden führen…
Diese Struktur gibt es grundsätzlich in jeder Art von Organisation. Die Grundidee von Organisationen ist, Subsysteme zu vereinen, die widersprüchliche Ziele verfolgen – also: Die Unentscheidbarkeit zwischen unterschiedlichen Logiken von Subsystemen, die einander widersprechen, zu institutionalisieren. Darauf fußen auch die systemischen Ansätze der Organisationsberatung: diese Widersprüchlichkeit bewusst zu verhandeln und zu entscheiden. Es ist tatsächlich vorprogrammiert, dass es zu Dilemmata kommt, wenn diese Subsysteme Berührungspunkte haben. Und diese Berührungspunkte erlebt dann auch vor allem das mittlere Management. Wenn man sich etwa Gremiensitzungen der verschiedenen Fachabteilungen vorstellt: Da werden im Prinzip die verschiedenen Funktionslogiken der einzelnen Subsysteme miteinander verhandelt.
Können Sie Beispiele nennen?
Nehmen wir an, es trifft sich die chirurgische Abteilung mit der internistischen Abteilung. Dazu kommt eine Funktionsdienstleitung. Und die diskutieren, wie man das OP-Programm möglichst so gestaltet, dass es für alle passt. Die Funktionsdienste sagen: Hey, wir sind komplett überlastet – plant euren OP-Plan so, dass wir pünktlich nach Hause kommen. Der chirurgische Chefarzt sagt dann vielleicht: Das geht nicht, wir müssen hier bestimmte Zahlen liefern, damit das Krankenhaus schwarze Zahlen schreibt. Und er fühlt sich dem Versorgungsauftrag in der Umgebung verpflichtet. Und die internistische Abteilung sagt: Wir wollen auch, dass möglichst viele OPs durchgeführt werden, denn sonst haben wir hier Patienten, die nicht mehr versorgt werden können. Also wir haben den Konflikt zwischen den Subsystemen, den Abteilungen. Ein weiterer struktureller Auslöser für Dilemmata liegt in unterschiedlichen Hierarchieebenen. Hier findet sich das mittlere Management oft in einem „Sandwich“ wieder. Da ist einerseits das obere Management, das die Strategie vorgibt. Die besteht – verkürzt dargestellt— darin, schwarze Zahlen zu schreiben, die Patientenzahlen zu erhöhen, im Unternehmen möglichst hohe Gewinne zu erzielen. Von „unten“ äußern die Mitarbeitenden ihre Belange: Wir wollen die Arbeitszeiten einhalten, wir sind überlastet, wir haben Erholungsbedarf. Und die mittlere Ebene muss zwischen diesen Ansprüchen vermitteln.
Was ist das Ziel Ihrer Trainings für die Teilnehmenden aus dem mittleren Krankenhaus-Management?
Das Hauptziel dieser Trainings ist, dass Stationsleitungen, Oberärzt_innen oder Service- und Verwaltungsmitarbeitende die Chance haben, einmal auf Pause zu drücken und sich von außen zu beobachten. Und zu beobachten: Was sind eigentlich die unterschiedlichen Aufträge von außen – oder auch von innen, aus ihnen selbst –, zwischen denen sie sich gefangen fühlen? Sie werden in die Lage versetzt, zu fragen: Welchem Druck bin ich hier eigentlich ausgesetzt und wo kommt der genau her? Das war ein wichtiger Aspekt in den Trainings. Da kam teilweise auch eine sehr lebhafte Verärgerung zum Vorschein bis hin zu müder Resignation, in was für einem Gesamtsystem sie da arbeiten und unter welchem Kostendruck sie funktionieren müssen. Die Idee des Trainings ist es dann, herauszuarbeiten: In welchem Bereich könnte ich wieder Handlungsspielraum und ein Gefühl der Selbstbestimmung zurückgewinnen?
Handlungsspielräume schaffen – wie sieht das in diesen Trainings konkret aus?
Die Grundidee des Trainings von Julika Zwack und Ulrike Bossmann – sie haben das auch in ihrem Buch „Wege aus beruflichen Zwickmühlen“ beschrieben – ist zunächst, die Konstruktion dieser Dilemmasituationen zu beobachten. Das ist eine genuin systemische Herangehensweise. Die Teilnehmenden sollten sich fragen, welche organisationalen und biographischen Regeln sie gleichzeitig zu verfolgen versuchen. Welchen unterschiedlichen Grund- und Lebensregeln folgen sie, die sich hier gleichzeitig widersprechen? Wie konstruiert sich dieses Dilemma gerade für sie und wie fühlt es sich an? Da haben wir beispielsweise mit einem Auftragskarussell gearbeitet.
Das Auftragskarussell ist ein bewährtes Instrument der systemischen Therapie. Wie gestalten Sie das in diesem Fall?
Also eine Person, z. B. eine Oberärztin, steht in der Mitte, und um sie herum werden die ganzen äußeren und inneren Aufträge, die an sie gerichtet werden, aufgestellt. Die Person kann dann erleben, wie sie gleichzeitig mit widersprüchlichen Aufträgen und dahinterstehenden Logiken konfrontiert wird. Da ist der Partner, der sagt: Sei auch für mich da. Die Pflegekraft sagt: Überanspruche mich nicht, denke an mich. Dann ist da der Chefarzt, der es wichtig findet, Zahlen zu liefern. Und der Assistenzarzt, der auch nicht vergessen werden möchte. Ein innerer Anteil der Oberärztin könnte z. B. sagen: Sei für andere da. Das widerspricht aber der organisationalen Spielregel, dass gute Zahlen geliefert werden sollen. Hinter den Forderungen der unterschiedlichen Anspruchsteller verbergen sich also individuell relevante Prämissen, die im Widerspruch stehen. Und das zu beobachten, ist der erste Schritt.
Und der nächste?
Jetzt geht es darum, wie sie wieder Handlungsspielraum zurückgewinnen könnten. Hier ist die Idee: Welcher dieser Ansprüche könnte zeitweise nicht erfüllt werden? Welche meiner für mich relevanten Prämissen will ich zeitweise nicht befolgen? Darauf eine Antwort zu geben, ist verdammt hart, weil es ja gute Gründe gibt, dass es einem z. B. wichtig ist, für andere da zu sein. Deshalb gilt hier die Haltung: Naja, wenn all diese Ansprüche gleich wichtig sind; wenn all die Regeln, die sich hier gerade widersprechen, für mich gleich wichtig sind: Dann ist es so, wie ich es gerade mache – so anstrengend es ist –, für mich die beste Lösung. Und dann entsteht schon Handlungsspielraum.
Es ist also nicht die einzige Lösung, sondern die beste? Ist das nicht einfach nur eine Umformulierung?
Naja, es wird eben deutlich, dass es auch andere Lösungen geben würde. Dadurch entsteht wieder eine Wahl. Ich erinnere mich an eine Sozialarbeiterin im Krankenhauskontext, die gesagt hat: Ich merke, dass ich mich gerade zwischen diesen unterschiedlichen Ansprüchen abarbeite, und ich merke gerade, es gäbe noch Option zwei, es nicht mehr zu tun, sondern beispielsweise zu kündigen. Ein anderes Beispiel wäre, wenn jemand sagt: Okay, ich muss mich wohl punktuell zwischen zwei Ansprüchen entscheiden. Mal enttäusche ich meinen Partner, mal meinen Chef. Gleichzeitig beiden gerecht werden, wird nicht gehen. Auch hier entsteht Handlungsspielraum. Wir haben dann unterschiedliche Werkzeuge angeboten, sich zwischen diesen Ansprüchen zu positionieren….
…aber mit der Herausforderung, ständig richtig harte Entscheidungen treffen zu müssen…
Genau. Es hat jeweils einen erheblichen Preis, mich für eine der Alternativen zu entscheiden. Es hat erhebliche Konsequenzen. Wenn ich als Oberärztin einerseits meinem Partner sagen könnte, ich werde die nächsten drei Wochenenden nicht da sein, weil ich Schichten übernehmen muss; oder aber dem Chef sagen könnte, das wird nichts mit den nächsten drei Wochenenden. So sieht ein echtes Dilemma aus – beides sind unbefriedigende Handlungsoptionen. Und dann ist die nächste Frage: Wie gehe ich mit dem emotionalen Rest um – mit dem, was bei mir übrig bleibt, wenn ich es nicht allen recht machen kann, weil ich mich irgendwie entscheiden muss?
Gibt es für die Teilnehmenden im Training die Möglichkeit, sich mit den emotionalen Konsequenzen möglichst unmittelbar auseinanderzusetzen?“
Bei den letzten Trainings, die ich gegeben habe, habe ich mit Bodenankern gearbeitet, wenn es darum ging, Emotionen zunächst als Werkzeug zur eigenen Positionierung zu nutzen. Dass man sich mal hinstellt auf die Handlungsoptionen und guckt: Wie fühlt sich das an, dieser oder dieser Person abzusagen? Das auszuprobieren. Sich intensiv mit den emotionalen Folgen solcher Entscheidungen auseinanderzusetzen, ist in so einem Rahmen schwierig.
Das Training hört sich sehr umfangreich an. Sind solche Trainings überhaupt realisierbar in Organisationen, die ja unter enormem Zeitdruck stehen?
Ein wichtiger Punkt. In normalen Trainings, die nicht durch Forschungsgelder finanziert sind, gibt es für ein solch umfangreiches Training, wie wir es im ersten Durchlauf angeboten haben, oft nicht genug Zeit und auch Geld – insbesondere im Krankenhauskontext mit großem Personalmangel und knappen Kassen. Antonia Drews und ich haben das Konzept auf ein 2-Tages-Manual reduziert. Man kann im Prinzip hier in Bezug auf den Umgang mit Emotionen, die nach schwierigen Entscheidungen bleiben, nur einen Anstoß geben: Es ist wichtig, dass diese bleibenden Emotionen versorgt werden. Und man kann zu den Teilnehmenden sagen: Seien Sie milde mit sich. Da kommt auch die Frage: Wie gehe ich damit um, wenn ich Trauer oder Wut spüre?
Spontan würde ich sagen, dass man versuchen sollte, damit nicht alleine zu bleiben…
Tatsächlich ist ein wichtiger Baustein die Solidarisierung im Umgang mit Dilemmata. Solche Drucksituationen laden oft dazu ein, dass ich mich abgrenze. Dass ich erstmal schaue, dass ich überlebe. Und das führt natürlich insgesamt in den sozialen Interaktionen zu einer Mehrbelastung. Da kann es hilfreich sein, zu fragen: An welchen Stellen können wir es uns weniger schwer machen, wenn wir gemeinsam denken? Wie können wir gemeinsam stark sein?
Wer stellt solche Fragen? Sie?
Ja. Die habe ich nicht nur in diesen Trainings gestellt, sondern stelle sie auch in Beratungskontexten außerhalb des Krankenhauses immer wieder – wenn z. B. mittleres Management von der Geschäftsführung besonders unter Druck gesetzt wird. Da ergibt sich schon die Frage: Was haben Sie denn für Kolleginnen und Kollegen, mit denen Sie sich gegebenenfalls zusammenschließen könnten und gemeinsam sagen könnten: Das ist jetzt zu viel? In den Trainingskontexten fragen wir schon intensiv nach: Was sind Solidarisierungsstrategien, die Sie nutzen könnten? Und das reicht von: Ich frage die Kollegin in der Kaffeeküche mal, wie es ihr gerade geht, bis zu: Ich knalle dem Chef von der anderen Abteilung nicht einfach was Unerledigtes vor den Latz, sondern rufe den kurz an und sage: Hey, so und so ist die Situation für mich gerade. Ich wollte es dir nur sagen, wir werden das heute nicht liefern können. Dass man Entscheidungen, die man fällt, kooperativ klärt, oder sich eben zusammenzuschließt – etwa so: Hey, wir sind doch eigentlich alle vom gleichen Problem blockiert, lass uns darüber z. B. mit dem Management sprechen und vielleicht ins Aushandeln anderer Möglichkeiten gehen.
Widerstrebt es Ihnen als politisch engagierter Mensch nicht manchmal, ein Training zu initiieren, in dem Menschen dazu gebracht werden sollen, innerhalb eines bestimmten Status quo besser zu funktionieren?
Auf jeden Fall. Zu sagen „Wenn ihr einfach ein Training macht, dann geht’s euch allen gut“ – wäre zu kurz gegriffen. Das war eine wichtige Motivation, weshalb Antonia Drews und ich im Anschluss an die erste Phase des Projekts eine Arbeitsgruppe innerhalb des Forschungsverbundes SEEGEN gegründet haben – und dann einen Artikel im Ärzteblatt initiiert und im November 2020 veröffentlicht haben. Da fragen wir: Welche Dilemmata sind auch auf anderen Ebenen – etwa bundespolitisch – angesiedelt, die auf das Dilemma auf der Management-Ebene im Krankenhaus großen Einfluss haben? Es gibt gesellschaftliche Dilemmata, die im Bundesgesundheitsministerium entschieden werden müssten: Welche gesundheitliche Versorgung wollen wir uns in Deutschland leisten, wieviel Geld sind wir dafür auszugeben bereit, und wo sind die Grenzen? Welche Preise sind wir als Gesellschaft hier zu zahlen bereit? Momentan fehlt es an diesen Grundsatzentscheidungen. Konsequenz ist, dass Mitarbeitende im Krankenhaus versuchen müssen, das Unmögliche möglich zu machen: mit viel zu knappen Ressourcen die beste Versorgung zu leisten. Das ist nicht fair.
Die Trainings werden also nicht der Heilsbringer sein…
Nein. Sie können ein hilfreiches Instrument sein. Das Ganze funktioniert aber besonders nachhaltig, wenn wir auf Krankenhausebene und auf politischer Ebene zugleich ins Handeln kommen.
Frau Born, wir bedanken uns für das ausführliche Gespräch.
(Interview: Matthias Nöther)